Zum Tag des offenen Denkmals im wannseeFORUM

von Gabriele Naundorf & Uta Denzin-v. Broich-Oppert

Die Stiftung wannseeFORUM lädt wieder am 12. September 2021 zwischen 15.00 und 17.30 Uhr zum Tag des offenen Denkmals ein.

Der „Tag des offenen Denkmals“ ist in Berlin eine wohltuend bürgerfreundliche Veranstaltung. Das Landesdenkmalamt (LDA) setzt den Rahmen und informiert die Öffentlichkeit.  Die teilnehmenden „Denkmäler“ werben mit ihrer Selbstdarstellung für ihre Einrichtung. Die interessierten Bürger*innen haben die Wahl zwischen einer Vielzahl zumeist kostenfreier Angebote in ganz Berlin.

Die Veranstaltungsreihe Offenes Denkmal fing am 12. September 1993 klein an.

Das wannseeFORUM erhielt 1995 den Status „denkmalgeschützt“ für das Haupthaus, das Kutscherhaus und den Garten als “Ensemble Bankiersvilla Joerger“.

Vor dem 1. Tag des offenen Denkmals im wannseeFORUM fragten wir uns:

Würde sich überhaupt jemand auf einen Besuch einer Villa am Stadtrand einlassen? Es gab ja keine touristische Sensation zu sehen, sondern – nach Definition des LDA – ein Privathaus, denkmalgerecht saniert. Fachliche Details des Sanierungsprozesses – wie die schonende Säuberung von Ziegeln und Säulen – dominierten dann auch den ersten offiziellen Denkmalstag. Dazu gab es wiederholte Hausführungen für die immerhin damals schon mehr als 50, später dann durchschnittlich 150 Gäste.

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                                © Stiftung wannseeFORUM 1999

Es zeigte sich, dass die meisten Besucher*innen keine detailversessenen Experten, sondern geschichtlich und gesellschaftlich interessierte Leute waren. Darauf konnte die Bildungs-stätte wannseeFORUM, gewohnt sich auf unterschiedliche Gäste einzustellen, künftig entspannt reagieren.

Ab 1999 gab es – als gleichsam verbindendes Element – für die Tage des offenen Denkmals jeweils ein zentrales Motto: „Europa – ein gemeinsames Erbe“ war das erste.

Das wannseeFoum fand in den wechselnden Jahres-Motti immer Anhaltspunkte, konnte aber vor allem an das weitgespannte Interesse der Besucher*innen anknüpfen, die neben der Architektur und der Geschichte der Familie Joerger, auch die Geschichte des Hauses als Bildungsstätte und die Inhalte der aktuellen Jugendbildungsarbeit spannend fanden.

Und auch das ist ein Zweck der Tage des offenen Denkmals: Private Eigentümer, Vereine und Stiftungen, die sich engagiert um den Erhalt denkmalgeschützter Bauten und Anlagen kümmern, Gelegenheit zu geben, ihre Arbeit der Öffentlichkeit vorzustellen.

Engagierte Arbeit an und in denkmalgeschützten Anlagen wie dem wannseeFORUM heißt nicht nur baulichen Verfall stoppen, behutsam nach historischen Vorlagen restaurieren, sondern es heißt vor allem, achtsam mit dem Denkmal umzugehen. Insofern ist das Ensemble Villa Joerger auch ein gemeinsames Projekt aller Stiftungsangehörigen, der freien Mitarbeiter*innen und der Jugendlichen, die die zentrale Zielgruppe des wannseeFORUM ist.

Und es wird ganz überwiegend achtsam mit diesem Ort umgegangen! Die für das wannseeFORUM Verantwortlichen engagieren sich, diesen Ort für Jugendliche zu erhalten. 

Und die Jugendlichen nehmen sehr wohl war, dass neben der inhaltlichen Arbeit die Schönheit, die Atmosphäre, das Gepflegt-Sein dieses Ortes auch ein Ausdruck der Wertschätzung für sie ist und „honorieren“ das.

Die Besucher*innen kommen zum Tag des offenen Denkmals aus durchaus unterschiedlichen Gründen: Sei es, dass ein spezielles Informationsinteresse dahintersteht, sei es, dass – wenn man schon die Villenkolonie Alsen geschafft hatte – auch das so nahe WannseeFORUM noch „mitnimmt“, sei es, dass das zusätzliche Angebot von Kaffee und (selbst gebackenen) Kuchen „zieht“. 

Was auch immer der Anlass für einen Besuch ist – die Allermeisten sind begeistert, wiederum aus unterschiedlichen Gründen: Einige nehmen sich einen Kaffee, gehen in den Garten, hörten kaum die Erläuterungen zum Gartendenkmal – die Rolle der Birken, das typische Duo aus Stieleiche und Buche – sondern geben sich einfach der Magie des Ortes hin. Architektur-Begeisterte und -Studierende wandeln auf den Spuren der Architekten Breslauer und Salinger und lassen sich über die Geschichte des Hauses informieren; pensionierte Lehrerinnen und Lehrer, die vor langer Zeit mit ihren Klassen hier waren, wollen Erinnerungen auffrischen, einiges aus der aktuellen Arbeit erfahren; andere haben Interesse an der Re-Education im Nachkriegs-Berlin oder lassen sich das „Werkstatt-Prinzip“ der politisch-kulturellen Bildungsarbeit des Hauses erklären.

Das „Haus“ ist jeweils vorbereitet: Fotos und Collagen im Foyer geben Auskunft über die Vergangenheit und Video-Filme Informationen über die aktuelle Arbeit. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des wannseeFORUM, Vorstands- und Kuratoriums-Mitglieder machten Rundgänge, beantworteten Fragen, sorgen für Kaffee- und Kuchen-Nachschub.

So lief es viele Jahre bis dann 2020, das Jahr der Pandemie, eine Änderung der Gestaltung des Tags des offenen Denkmals verlangte. „AHA+L“ übernahm die Regie. 

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  © Stiftung wannseeFORUM 2020

Einiges konnte nach wie vor im „quer-gelüfteten“ Foyer stattfinden, das meiste wurde ins Freie verlagert. Und es wurde wieder an die Anfänge angeknüpft: Aus den vielen individuel-len und Kleingruppen-Gesprächen der Vorjahre wurde 2020 z.B. eine zusammenhängende geschichtlich-kulturelle Veranstaltung mit einem kleinen Konzert des Saxophonquartetts

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© Stiftung wannseeFORUM, 2020

“Düsenfischers Handarbeitszirkel” und einem Vortrag über die Verbindung der Geschichte der Familie Joerger mit der des Hauses:

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    © Villa Joerger Erben ca. 1908

Das Ehepaar Carl und Elisabeth Joerger suchte Anfang des 20. Jahrhunderts einen passenden Ort für seine Sommerresidenz und fand ihn in Stolpe, 2 Meilen vor Berlin am Pohlesee. Ihren Hauptwohnsitz hatten sie in der Lennéstraße in Mitte, nahe dem Arbeitsplatz von Carl Joerger, der Mitinhaber der Delbrück-Bank am Potsdamer Platz war.

Vom Potsdamer Platz gab es schon die Zugverbindung nach Potsdam mit Halt in Wannsee.

Als Architekten engagierten sie Alfred Breslauer und Paul Salinger, die ein gemeinsames Büro in Potsdam hatten und als moderne Architekten speziell für Landhäuser galten.

Dass die beiden jüdischer Herkunft waren, war für die großbürgerlichen Joergers, alt-katholischer bzw. protestantischer Religionszugehörigkeit, offenbar kein Hindernis.

Die Villa Joerger entstand 1907/08 als ein herausragendes Beispiel hochwertiger Landhausarchitektur mit Elementen Brandenburger Herrenhäuser. Der Bau ist perfekt symmetrisch angelegt, wie besonders der Blick von der Seeseite auf die Klinkerfassade mit dem Portikus zeigt.

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       (c) Stiftung wannseeFORUM, 2016

Stilbildend sind die Putzspiegel unter den Fenstern mit Blumenmotiven, überraschend in den Farben braun-ocker gehalten. Die Fensterrahmen und die Klappläden sind nicht wie üblich weiß, sondern hellgrau/beige gestrichen. Die weiche Farbgebung unterstreicht die Eleganz der architektonischen Gestaltung. Übrigens war die originale Farbanalyse durch die Unterstützung des LDA möglich.

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  © Quelle: Die elegante Welt, S. 21

Für die Innengestaltung des Hauses nutzten die Architekten moderne Bautechniken wie Beton. Das Ambiente entsprach dem gesellschaftlichen Stand der Joergers. Im Parterre lagen die repräsentativen hohen Räume. Von der weiträumigen Empfangshalle führte eine imposante Flügeltür in den Kaminsaal, der wiederum auf den Portikus mit weitem Blick auf den See führte. Weitere Gesellschafträume schlossen sich an.

Es gab einen Speiseaufzug vom Keller aus, mit Halt in der Küche und im 1. Stock.

Im 1. Stock lagen das Elternschlafzimmer mit Balkon zum See, die Kinderzimmer, das Zimmer fürs Kindermädchen und zwei große Bäder. Unterm Dach gab es weitere Zimmer für das Personal.

Die Joergers hatten inzwischen vier Kinder, was den Umzug aufs Land nahelegte. 1920 zog die Familie ganz nach Wannsee. Für die Mobilität war durch das Kutscherhaus gesorgt: 

In dem Klinkerbau gab es eine Remise für die Kutsche, Boxen für zwei Pferde, eine Wohnung für den Kutscher und unterm Dach den Heuboden. Carl Joerger soll zur Bahnstation Wannsee geritten sein. Das Kutscherhaus blieb außergewöhnlich als weitere Häuser am Kleinen Wannsee entstanden; zu denen gehörten meist aufwändige Bootshäuser. 

Die Vorstellung von der Idylle am See endet abrupt mit dem Tod von Carl Joerger im Mai 1945. Wannsee wurde als letzter Bezirk im Ring um Berlin nach erbitterten Kämpfen von der Sowjetischen Armee eingenommen. Im Zuge der Besetzung erschoss ein Soldat den Hausherrn. Elisabeth Joerger starb wenig später aus Schwäche bei Freunden.

Als Wannsee amerikanischer Sektor wurde, beschlagnahmten die Amerikaner die Villa als Unterkunft für hochrangige Offiziere.  Sie gaben sie 1950 zurück an die Erbengemeinschaft der Joergers, die die beiden Häuser und den Garten für 120 000 DM an den Verein Wannseeheim für Jugendarbeit verkaufte. Heute gibt es freundschaftliche Kontakte zwischen den Nachfahren der Joergers und der Stiftung wannseeFORUM.

Zur Geschichte des Hauses gehört auch das Schicksal seiner Architekten. Alfred Breslauer wurde 1934 als „Halbjude“ aus der Akademie der Künste ausgeschlossen und emigrierte 1939 in die Schweiz. Paul Salinger wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo er im selben Jahr starb. 

Die Joergers waren im Dritten Reich keine Nazis gewesen, jedoch war Carl Joerger im Bankgeschäft und in Wirtschaftsgremien mit der herrschenden Clique verbandelt. Andererseits war es für die weltoffene, tolerante Lebensart der Joergers kein Problem gewesen, für den Bau ihres Hauses jüdische Architekten zu beauftragen, obwohl ab den 1890er Jahren wieder eine neue Welle des offenen Antisemitismus hochkam.

Es sind diese Ambivalenzen, die auch als Thema in unserem „offenen Denkmal“, der Jugendbildungsstätte, diskutiert werden.

“Denk_mal nachhaltig” war das Motto des Tags des offenen Denkmals 2020 gewesen. Es trifft den Kern der Aufgabe der Stiftung wannseeFORUM – denn was ist nachhaltiger als eine kontinuierliche Jugendbildung! Dass diese Arbeit an einem solchen Ort stattfindet lässt, Jugendliche ganz unterschiedlicher Herkunft neben vielen politisch-kulturellen Inhalten auch „Schönheit“ erfahren, ein architektonisches Meisterstück in einem sorgfältig gestalteten Park.


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