Wir sind zu-kunft!

Wenn du die Möglichkeit hättest einen Spruch deiner Wahl auf drei Billboards in Berlins bunt-belebten Straßen zu drucken, was würdest du drauf schreiben? Welche Gedanken willst du mit der Öffentlichkeit teilen? Welche Themen brauchen mehr Aufmerksamkeit? Was muss endlich wieder sichtbar werden? Vor genau diesen Fragen standen zwölf junge Menschen im Sommer 2022 aus Berlin im Rahmen meines Projekts: Wir sind nicht zu jung, zu unerfahren, zu naiv… – „Wir sind zu-kunft!“ 

Ich heiße Jule Küppers und habe von September 2021 bis August 2022 meinen Freiwilligendienst in der Stiftung wannseeFORUM gemacht. Neben den alltäglichen Aufgaben ist es üblich ein eigenes Abschlussprojekt zu planen und durchzuführen. Ich hatte dabei alle Gestaltungsfreiheiten, die man sich vorstellen kann, und kam mir daher in den großen Freiräumen anfangs auch ziemlich verloren vor:  Was beschäftigte mich momentan am meisten? Welches Thema findet gesellschaftlich zu wenig Aufmerksamkeit? Und was ist es eigentlich, das ich ändern möchte?

Entstehung der Projektidee

Mit Ende meines BFDs stand nicht nur die Frage des Projekts im Raum, sondern gleichzeitig auch die Frage, wie es danach für mich persönlich weiter gehen könnte. Will ich anfangen zu studieren? Und wenn ja, was? In meinem privaten Umfeld war das Gesprächsthema Nummer Eins die persönliche Zukunft meiner Freund:innen und mir. Wir haben geträumt und gehofft und uns bunte Zukunftsszenarien ausgemalt. Doch gleichzeitig hingen viele Fragezeichen in der Luft, Zweifel und Sorgen bezüglich der momentanen Lage der Welt haben unseren Träumereien einen fauligen Beigeschmack gegeben und nicht selten kamen auch Gefühle der Unsicherheit und sogar Angst hoch. Irgendwann wurde mir klar: Ich möchte mein Projekt den Gefühlen und Gedanken meiner Generation bezüglich der Zukunft widmen. Coronabedingt sind die Bedürfnisse und Sorgen von Jugendlichen für sehr lange Zeit in den Hintergrund gerutscht, weil sich die öffentliche Aufmerksamkeit vor allem auf den Schutz der älteren Menschen fokussiert hatte. Doch die vergessenen Sorgen und Nöte der Jugendlichen, ihre Träume und Wünsche sind gesellschaftlich so wichtig, dass ich sie gerne aus den WG-Küchen hinaus in Berlins Straßen bringen wollte.

Aufbau des Projekts

Nachdem die Idee feststand, fing die lange Phase der Projektplanung und Konzeption an. Über Kontakte des wannseeFORUM fand ich Kooperationspartner:innen, die mich in meinem Projekt unterstützen wollten und als mein Antrag für Fördergelder bei DRAUSSENSTADT angenommen wurde, stand der Umsetzung nichts mehr im Weg: Ich plante für das Projekt mehrere Veranstaltungen, die in Kooperation mit dem wannseeFORUM, dem Zentrum für Kunst und Urbanistik in Moabit (Z/KU) und dem Projektraum SCOTTY in Kreuzberg stattfinden sollten.

Der erste Teil war ein Tagesworkshop im öffentlichen Garten des Zentrums für Kunst und Urbanistik, den ich in Zusammenarbeit mit Hedda Schmelting (Seminarassistenz) und Felix Pestemer (Künstler) umsetzte. Im Workshop drehte sich alles um die Zukunft. Die Teilnehmenden beschäftigten sich aus unterschiedlichsten Perspektiven mit dem was vor ihnen liegt: privat-persönlich als auch gesellschaftlich-politisch oder ökonomisch-ökologisch. Schnell kristallisierten sich dabei starke Gefühle heraus, die alle teilen konnten: Das Empfinden in zwei Welten zu leben – eine, in der man sich uneingeschränkt und neugierig auf die Zukunft freut und die andere, die uns angesichts unterschiedlichen Krisen allen große Sorgen bereitet. Wir fühlten uns gleichzeitig hin-und-hergerissen zwischen Vorfreude und Sorgen und dem starken Gefühl, von der Gesellschaft als junge Generation nicht wahr- und ernstgenommen zu werden. Nach dem intensiven Austausch hielten die Teilnehmenden ihre Gedanken und Gefühle auf Plakaten fest.

Zum Abschluss des Workshops kamen alle Teilnehmenden erneut zusammen und überlegten sich einen Spruch, der alle Gedanken bestmöglich bündelte: „Ja, ich freue mich auf die Zukunft. Ja, ich habe Angst vor der Zukunft. Nein, das ist kein Widerspruch. Hört uns zu, nehmt uns ernst und lasst uns die Zukunft mitgestalten.“ Zehn Tage hingen die auffälligen, bunten Großflächenplakate an drei Standorten in Berlin (S-Bhf Beusselstraße, S-Bhf Wannsee und U-Bhf Moritzplatz) und waren für alle Passant:innen ein Hingucker und Gedankenanstoß.

Die Plakate machten mit einem QR-Code gleichzeitig auf die Ausstellung im Projektraum SCOTTY aufmerksam, in dem die Werke für einen Monat für eine allgemeine Öffentlichkeit zu sehen waren. Neben den selbstgestalteten Plakaten der Workshopteilnehmenden gab es die von Layla und Yaheb Kübler erstellte Projektdokumentation in Form von Fotografien und eines Videos zu sehen.

Abgerundet wurde das Projekt durch eine Online-Umfrage, an der 30 junge Menschen im Alter zwischen 14 und 26 erreicht wurden und so ebenfalls ihre Perspektiven auf das Thema Zukunft einbringen konnten. Ausgewählte Antworten wurden als Zitate auf Plakaten collagiert und ergänzten die Ausstellung. Zur Vernissage am 30. September 2022 kamen viele Menschen unterschiedlicher Generationen und kamen über die Fragen und Antworten der Umfragen ins Gespräch. Der Abend war gefüllt mit einem spannenden Perspektivaustausch, inspirierenden Erkenntnissen und der Frage, wie es mit den Projektergebnissen weiter geht. 

Was wurde mit dem Projekt erreicht?

Durch das Projekt wurde jungen Menschen ein Raum eröffnet, sich intensiv mit ihren ambivalenten Gefühlen auseinanderzusetzen, die bei Gedanken an die Zukunft entstehen und im Alltag leider oft in den Hintergrund gedrängt werden und kaum Aufmerksamkeit erhalten. Die Jugendlichen konnten sich vernetzen und merken, dass sie mit ihren Gefühlen, ihren Ängsten, ihrer Wut und Ohnmacht  nicht allein sind. Es ist wichtig, sich mit diesem Unbehagen und den Ambivalenzen auseinanderzusetzen und den älteren Generationen zu zeigen, was uns bewegt, besorgt und umtreibt. Eine Generation allein kann die Zukunft nicht verändern. Es braucht das Zusammenarbeiten und den Zusammenhalt von allen Generationen auf Augenhöhe, um die anstehenden großen Aufgaben zu bewältigen. Aber erst, wenn wir alle mit unseren Bedürfnissen und Sorgen gleichermaßen wahr und ernst genommen werden, können Veränderungen herbeigeführt werden, die für alle von Vorteil sind. Und die Grundlage dafür ist, den jeweiligen Ist-Zustand der Generationen zunächst zu ergründen und zu dokumentieren, um sich auf andere Perspektiven einzulassen. Genau das hat das Projekt erreicht: Es hat die Perspektive der Jugend auf die Zukunft öffentlich zum Thema gemacht, Anlässe und Orte geschaffen sich mit den eigenen Gedanken auseinander zu setzen und mit anderen Menschen, auch aus anderen Generationen, ins Gespräch zu kommen.

Damit ist noch lange nicht alles getan. Es ist erst der Anfang. Aber es ein wichtiger erster Schritt.

Fazit und Ausblick

Als ich im Frühling 2022 anfing mir Gedanken zu meinem ersten eigenen Projekt zu machen, hätte ich nicht den Hauch einer Ahnung, dass am Ende so eine toll besuchte Ausstellung im SCOTTY stehen würde. Durch diese einzigartige Chance, am wannseeFORUM ein eigenes Projekt durchführen zu können, habe ich unglaublich vielfältig Erfahrungen gesammelt und Herausforderungen bezwungen, die ich mir ohne die Unterstützung des wunderbaren Teams niemals zugetraut hätte. Dabei habe ich nicht nur viel über die kleinschrittige Planung, Kommunikation mit Partner:innen und Öffentlichkeitsarbeit gelernt, sondern vor allem, meine eigenen Kapazitäten richtig einzuschätzen, Prioritäten zu setzen und bei spontanen Planänderungen flexibel und entspannt zu bleiben. All diese Einsichten nehme ich sehr dankbar mit und werde bei zukünftigen Projekten sicher davon profitieren. 

Was mich rückblickend besonders mit Stolz erfüllt, ist die Tatsache, dass bei diesem Projekt so viele engagierte und inspirierende junge Menschen zusammengearbeitet haben und wir damit die Kernaussage des Projekts bestätigt haben: Dass wir eben nicht zu jung oder zu unerfahren sind, um Dinge alleine anzugehen, sondern dass wir jungen Menschen die zu-kunft sind! Und damit sehr wohl in der Lage Projekte umzusetzen, sofern man es uns einfach mal zutraut und uns ernst nimmt. Es war ein Projekt für junge Menschen, mit jungen Menschen, von jungen Menschen, das die gesellschaftliche Relevanz unserer Perspektiven mit Blick in die Zukunft und Gegenwart hervorgehoben hat.

In unserer Gesellschaft finde ich es außerdem wichtig, den Blick nach innen zu richten und die eigenen Emotionen nicht zu verdrängen, sondern sie wahrzunehmen und ihnen eine Daseinsberechtigung zu geben. Ärgerlich finde ich, dass starke emotionale Äußerungen oft nicht ernst genommen und einer:m sogar unterstellt wird, die Dinge nicht objektiv zu beurteilen. Doch das ist meiner Meinung nach ein Trugschluss. Gefühle und Emotionen sind so ein großer Teil unseres Lebens und machen die menschliche Erfahrung überhaupt erst so wertvoll, dass ich es wichtig finde, ihnen im Alltag und auch in der Öffentlichkeit mehr Raum und Wertschätzung zu geben. Alle Gefühle sind real, valide und gehören nicht nur zu unserer Lebenswirklichkeit, sondern sie sind der Kompass, der uns steuert. Redet mit den Menschen über eure Gefühle und hört anderen Menschen zu, wenn sie ihre Gefühle teilen wollen. 

Danksagung

Abschließend möchte ich mich noch bei DRAUSSENSTADT, dem wannseeFORUM, dem Zentrum für Kunst und Urbanistik und Scotty e.V. für die Ermöglichung des Projekts und angenehme Zusammenarbeit bedanken. Besonders möchte ich mich auch bei folgenden Menschen bedanken, ohne die das Projekt nicht stattgefunden hätte: Tina Leskien, Simone Häckel, Hedda Schmelting, Felix Pestemer, Layla Kübler, Yaheb Kübler, Thomas Gilke und die Teilnehmenden des Workshops und der Umfrage.

Das Projekt war Teil der Initiative DRAUSSENSTADT und wurde gefördert von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa sowie der Stiftung für Kulturelle Weiterbildung und Kulturberatung.