pfingstAKADEMIE 2017: „Wir(r) sind die Alternativen!“

pfingstKADEMIE 2017: "Wir(r) sind die Alternativen!"

Mit der bundesweit ausgeschriebenen pfingstAKADEMIE Jugendbeteiligung ermöglichen wir jungen Menschen, sich in Berlin über Jugendbeteiligung auszutauschen, miteinander zu diskutieren und sich fortzubilden, um sich anschließend in ihrem jeweiligen Umfeld für die Stärkung der Demokratie einzusetzen.Als Schwerpunktthema haben wir uns 2017 unter dem Motto „Wir(r) sind die Alternativen“ den verschiedenen politischen Orientierungen in Krisenzeiten gewidmet:

Die Welt scheint aus den Fugen zu geraten. Vielfach ist die Rede von einem uns bevorstehenden epochalen Umbruch, unklar bleibt jedoch, wohin die Reise geht. So fällt es schwer, den Überblick zu behalten, um die Richtung politischen Engagements zu bestimmen. Wo lässt sich ansetzen? Wer oder was hindert uns an einem gerechten und friedlichen Zusammenleben? Wogegen protestieren – mit welchen Zielen? Das alles waren Fragen, die die 17. pfingstAKADEMIE aufgeworfen hat, um das Thema Jugendbeteiligung in Zeiten zu diskutieren, in denen mit dem Erstarken rechter Bewegungen eine ganz neue Dynamik in die Debatte um politische Partizipation Einzug erhält. Vor diesem Hintergrund wollten wir uns ein Bild der aktuellen Lage machen, politische Phänomene wie Rechtsextremismus und Rechtspopulismus genauer betrachten sowie Ursachen, Gegenstrategien und Alternativen diskutieren. Dazu gehörte erstens eine Analyse der multiplen Krisenerscheinungen, die den Aufstieg rechter Bewegungen begleiten sowie zweitens eine Kritik der vorgebrachten Alternativen von rechts und drittens die Suche nach alternativen (Aus-)Wegen jenseits von Diskriminierung, Ausschluss und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.

Der Freitag diente vor allem dem Ankommen und Kennenlernen. Es gab ein großes Kennenlernbingo, sowie ein vorbereitetes Speeddating mit Fragen zur Persönlichkeit, zu den Erwartungen als auch zu politischen Themen. Die Teilnehmenden haben sich gegenseitig interviewt und die Antworten auf Zettel notiert, die abschließend an vorbereitete Stellwände geklebt wurden. So entstand für alle ein erster Überblick über die Teilnehmenden, ihre Erwartungen und ihre politische Einstellung/Erfahrung. Außerdem hatten alle Kooperationspartner der pfingstAKADEMIE die Gelegenheit, sich und ihre eigenen Projekte kurz vorzustellen.

Der Thementag am Samstag widmete sich den im Titel aufgeworfenen Fragen: „Wir(r) sind die Alternativen – Politische Orientierungen in Krisenzeiten“. Der Journalist Rico Grimm ging im einleitenden Vortrag von der Finanzkrise über die Eurokrise bis hin zur Flüchtlingskrise auf aktuelle Krisenerscheinungen ein, die es nahe legen von Krisenzeiten zu sprechen. Seine These lautete allerdings, dass nicht das Ausmaß der Krisen selbst, sondern vor allem unsere Krisenwahrnehmung sich verändert habe: Die digitalen Kommunikationsmöglichkeiten haben die Art und Weise, wie wir Informationen austauschen, radikal gewandelt. Wir kommunizieren nicht mehr hierarchisch Top-Down, sondern sind alle plötzlich Teil eines Netzwerkes, das keine Herrscher, nur große und kleine Knoten kennt. Als Konsequenz daraus, haben wir keine große Erzählung mehr, die in dieser sich wahnsinnig schnell verändernden Welt Sinn macht und Orientierung schafft. Zu beobachten seien daher gerade sehr viele Versuche unterschiedlicher Bewegungen und Initiativen, neue Erzählungen zu entwickeln. Wenn alles gut läuft, so schloß Rico Grimm seinen Vortrag, dann können wir heute an diesem Tag, an diesem fantastischen See auch so ein Labor aufmachen.

Seine Thesen führten schon während des Vortrages und im Anschluss zu einer intensiven Diskussion, die in den drei folgenden Themengruppen aufgegriffen und weitergeführt wurde, um Thesen für die nachfolgende Asamblea zu erarbeiten.

1) „Wirre Zeiten“
In Workshop 1 wurden verschiedene Krisen einzeln betrachtet und analysiert. Es wurden Fragen nach ihrer Ursache und ihren Auswirkungen gestellt und kritisch hinterfragt, ob dieser Zustand überhaupt als Krise zu bezeichnen ist. Auch wurde sich damit auseinandergesetzt, wer von welcher Krise betroffen ist und wer einen Nutzen aus der Krise ziehen kann. Bei der Frage welches die fünf größten Krisen in den letzten Jahren gewesen sind, einigte sich die Gruppe schließlich auf die Finanzkrise, die Flüchtlingskrise, die Energie-/Klimakrise, die Postwendezeit/Identitätskrise und die Überwachungskrise. Leitfragen in den so entstandenen fünf Kleingruppen waren: Was ist der tatsächliche Konflikt? Wer ist wirklich betroffen und über wen wird geredet? Wer profitiert und was ist die Antwort der Politik? Dabei wurde u.a. festgestellt, dass die Rede von der „Flüchtlingskrise“ bereits interessengeleitet ist. Schließlich wurden diese einzelnen Erscheinungen in Beziehung zueinander gesetzt und Fragen nach den Zusammenhängen gestellt: Was haben alle diese Krisen gemeinsam? Was kann man selbst konkret tun? Welche Krise würdet ihr priorisiert behandeln, wenn ihr Teil der Regierung wäret? Aus den Diskussionen wurden abschließend Thesen für die Asamblea entwickelt.

2) „Wirr ist das Volk“
Was ist eigentlich gemeint, wenn von Rechtspopulismus die Rede ist? In Workshop 2 wurde zunächst anhand verschiedener Texte eine Klärung der Begriffe „Rechts – Links – Populismus – Extremismus“ vorgenommen. Es hat allen Workshopteilnehmern sehr geholfen, über diese Wörter zu reden und zu erfahren, wo sich ihre Bedeutungen überschneiden und wie sie sich unterscheiden. Anschließend setzte die Gruppe sich explizit mit dem erstarkenden Rechtspopulismus auseinander und beleuchtete sowohl die Ziele, als auch die Mechanismen von rechtspopulistischem Gedankengut. Welches Weltbild vertreten Rechtspopulist*innen und welchen Stellenwert haben Rassismus und Nationalismus? Außerdem wurden mögliche (Gegen-)Strategien zum Umgang mit rechtem Gedankengut erörtert. Schließlich wurden Thesen für die Asamblea formuliert: Die Anhänger dieser Parteien werden nicht einfach verschwinden, indem wir abwarten. Also sollte unsere Gesellschaft Menschen mit rechten Einstellungen nicht ausgrenzen, um sie in ihrer Außenseiterrolle nicht zu bestärken. Werte müssen wieder in den Vordergrund treten und den Zusammenhalt in der Gesellschaft fördern.

3) „Wirr weiter“
In Workshop 3 drehte sich die Diskussion um politische Alternativen und Optionen für gesellschaftliche Lernprozesse: Wo gibt es schon progressive Bewegungen und Alternativen? Welche Zukunftsvisionen haben diese Bewegungen für Europa und die Welt? Woran wachsen und woran scheitern junge politische Alternativen immer wieder? Welche Alternativen und Optionen würden wir gerne entstehen sehen, entstehen lassen – und selbst mitgestalten?
Die Teilnehmenden diskutierten, was sie im Moment am meisten stört und mit welchen Projekten und Ideen sie diese Probleme lösen oder auf sie aufmerksam machen wollen. Als Einstieg wurden Beispiele von Jugendbewegungen aus verschiedenen Ländern gezeigt, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aber alle eine Gemeinsamkeit haben: Sie waren angetrieben und unterstützt von Musik. Danach ging es um konkrete Alternativen zu den anfangs genannten Problemen, die zum Start des Workshops gesammelt wurden. Dabei kamen die kreativsten Ideen zu Stande: von einem kulturellen Austausch durch gemeinsames Verspeisen mitgebrachter, kulinarischer Besonderheiten, bei dem alle Schüler*innen einer Grundschule teilnehmen sollen, über eine provokante Bundestagssimulation von Jugendlichen bis hin zu Frauen, die eine Performance aufführen, war einiges dabei. Viele Jugendliche beklagten in diesem Workshop Probleme, sie fanden aber auch die passenden alternativen Protestformen, die sie als Beispiele mit in die Asamblea nahmen.

In der anschließenden Asamblea hatten die Teilnehmenden der pfingstAKADEMIE die Möglichkeit, aufgetretene Fragen und Thesen aus den Workshops mit den eingeladenen Gästen aus Politik und Zivilgesellschaft zu diskutieren. Dieses Diskussionsformat, welches im Zuge der Protestbewegung auf Spaniens öffentlichen Plätzen entwickelt wurde, zeichnet sich dadurch aus, dass eine hierarchiefreie Verständigung in großen Gruppen möglich ist. Alle Teilnehmenden an der Asamblea haben das gleiche Recht zu sprechen. Die Redebeiträge werden nacheinander vorgetragen. Während eines Redebeitrags können durch verschiedene Handzeichen Emotionen wie Zustimmung, Ablehnung oder der Wunsch einer direkten Antwort auf den*die Vorredner*in signalisiert werden.
Geplant war eine aufeinander folgende Diskussion der drei in den Workshops behandelten Themengebiete. Während der Diskussion zeigte sich, dass sich viele Jugendliche von der Politik mehr Mitbestimmung erwarten und sich häufig wenig beachtet fühlen. Die anwesenden Politiker*innen wiederum kritisierten die Jugendlichen (nicht die Anwesenden) für ihr mangelndes Engagement und forderten dazu auf, sich stärker einzubringen. Seitens der Veranstalter und der Moderation wurde bewusst darauf verzichtet, die Richtung der Diskussion allzu stark zu lenken, um dem Format Asamblea gerecht zu werden. Es zeigte sich allerdings, dass dadurch nicht alle drei Themengebiete wie geplant abgehandelt werden konnten. Das Verhältnis von Jugendlichen und Politik zu thematisieren, schien in dieser Konstellation jedoch das bestimmende Interesse der Anwesenden zu sein.

Am Sonntag fand, um den Austausch zwischen den Teilnehmenden zu fördern und eigene Impulse zu setzen, ein Barcamp statt. Dafür gab es zuerst eine kurze Einführung in die Methode des Barcamps, danach wurde gemeinsam mit dem Team der pfingstAKADEMIE der Sessionplan erstellt. Aufgrund der aktiven Teilnahme und des großen Interesses der Jugendlichen konnte auch dieser Tag erfolgreich durchgeführt werden.
Angebotene Sessions waren:

„Political Framing“
„Arbeit von Gewerkschaften“
„Linkspopulismus – Chancen und Risiken“
„How to Verschwörungstheorien“
„Internetkultur“
etc.

Einiges aus der Asamblea hat auch in den Barcamp-Tag am Sonntag hineingewirkt – ein schönes Beispiel dafür war die Barcamp-Session rund um das Thema „Political Framing“: Für politische Diskussionen, die gewissermaßen qua Definition komplexe Thematiken bearbeiten, bedeuten frames eine Ordnungsstruktur, die manche Ideen stärker einbezieht als andere. Das heißt, dass unsere politischen Debatten darum, was das richtige für uns als Gemeinschaft ist, durch vielfältige sprachliche Deutungsrahmen geprägt ist. Oftmals unbewusst rufen wir Bilder und Assoziationen auf, die uns in eine bestimmte Richtung lenken. Sprechen wir z.B. von einer „Flüchtlingswelle“, bringen wir den Rahmen einer Naturkatastrophe, die bedrohlich und zugleich von außen kommend und nicht von Menschen gemacht erscheint. Begriffe wie „Steuerlast“ oder „Mindestlohn“ haben ähnlich viele frames im Gepäck. Für die Teilnehmenden war klar: Das kritische Hinterfragen der eigenen Alltagssprache kann nur der erste Schritt sein. Strukturell zu prüfen, was die uns umgebende Sprache mit uns macht / was sie bei uns auslöst, ist eine fortlaufende Herausforderung, die man nicht alleine bewältigen kann, sondern für die ein gemeinsames Bewusstsein geschaffen werden muss. Sich als Gruppe Zeit zu nehmen, um ein solches Thema, das nicht zwingend cool und catchy ist, zu bearbeiten und sich gegenseitig beim Schärfen unserer Sprachsinne zu helfen, das war für alle Beteiligten zugleich Fazit und zukünftiges Ziel dieser Barcamp-Session.

Um die Teilnehmenden auf ihr weiteres Engagement in ihren jeweiligen Kontexten vorzubereiten fand am Montag der Methodentag statt, bei welchem die Jugendlichen in verschiedenen Arbeitsgruppen Methoden und Kompetenzen für ihre weitere politische Arbeit erlernen konnten.
Dabei wurden angeboten:

„Projektmanagement“
„Kreative Protestmethoden“
„Argumentationstraining gegen Rechts“
„Graphic Recording“
„Öffentlichkeitsarbeit“
„Forumtheater“

Während der gesamten Akademie arbeiteten einige Teilnehmer*innen in der Methodengruppe „Onlinedokumentation“ und erstellten dabei Artikel, Podcasts und Videos zur Dokumentation für den Blog der pfingstAKADEMIE.

Die Methodengruppe „Forumtheater“ inszenierte ein Stück, das sie am Montagabend im Theatersaal aufführte. Die Szene, die von der Unterdrückung und der Sexualisierung von Frauen in unserer Gesellschaft handelte, löste unter den Teilnehmenden eine angeregte Debatte über geschlechtliche Rollenbilder aus. Nachdem der Anleiter einem männlichen Teilnehmer verweigerte, in die Rolle des Opfers (Frau) von sexueller Gewalt zu schlüpfen, wurde kritisiert, dass dadurch Klischees von Männern und Frauen gefestigt werden würden. Andere argumentierten, dass die Gewalt nun mal vor allem von Männern ausgehe und dieses durch das Auflösen der Kategorien Mann und Frau aus dem Blick geraten könne.

Am letzten Tag stand der Rückblick auf die vergangenen Tage und die Auswertung auf dem Programm. Aus jedem Workshop wurden Ergebnisse präsentiert, um allen Teilnehmenden einen Überblick über die Arbeit in den einzelnen Gruppen zu bieten. Auch die Methodengruppe „Onlinedokumentation“ stellte einige Highlights aus ihrer dokumentarischen Arbeit vor.
Aus den Auswertungsbögen und persönlichen Gesprächen geht hervor, dass die Teilnehmenden mit den drei Elementen politische Diskussion, Austausch und Fortbildung im Veranstaltungsverlauf sehr zufrieden waren und viel für ihr eigenes politisches Engagement mitnahmen. Das positive Feedback der Teilnehmenden bestärkt uns in der Annahme, dass wir mit der pfingstAKADEMIE ein erfolgreiches Format zur Stärkung der Jugendbeteiligung anbieten und hilft uns bei der Planung kommender Veranstaltungen in diesem Bereich.

Vielen Dank an alle Beteiligten und wir freuen uns bereits auf die pfingstAKADEMIE 2018 mit Euch!!!


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