)!ivers – Schreibwerkstatt 2019

„)!vers“ hieß das Thema der Schreibwerkstatt in den Herbstferien 2019. Fünf Tage lang vorlesen, mit Autor*innen ins Gespräch kommen, diskutieren, selber schreiben und eigene Texte bei der Abschlusspräsentation performen – das stand auch 2019 wieder im Mittelpunkt des Kooperationsprojektes von Kreatives Schreiben e.V. und Stiftung wannseeFORUM – diesmal jedoch mit dem thematischen Fokus auf Diversität.

Wer braucht noch Erzählmuster aus dem Neandertal? Kann man auch gemeinsam divers sein? Wie schreiben wir mit Respekt? – waren einige der vielfältigen Fragestellungen, die die Herbstferienschreibwerkstatt vom 7. bis 11. Oktober 2019 als thematischen Ausgangspunkt setzte.

In verschiedenen Arbeitsgruppen z.B. „Textdiskussion“, „Verantwortung in Prosatexten“, „Stereotypen“, „Liebesgeschichten ohne Gender“, „Schubladen“ beleuchteten die Teilnehmenden mit diversen Blickwinkel.

Anregungen dazu boten z.B. die Autorenlesung des Berliner Schriftstellers Volker Surmann sowie eine Lesung im nahegelegenen Literarischen Colloquium Berlin: Selim Özdogan und Sonja M. Schultz lasen aus ihren Neuerscheinungen, in denen es vor allem um Jugend, Milieu und das Sich-Zurechtfinden als junger Mensch in der Gesellschaft geht. Vorher gab es ein kurzes Gespräch zur Veranstaltung mit dem Organisator des Abends. Nach der Lesung kamen die Jugendlichen mit den Autor*innen ins Gespräch.

Entstanden sind ganz unterschiedliche Texte. Als Eindruck veröffentlichen wir hier zwei Texte. Text

GELB, BLAU, ROT
von Yuna Wildemann

Gelb
Es ist ein warmes Blau, das ich liebe, das mich begleitet, selbst, wenn es gerade nicht da ist. Es wohnt in der schäbigsten Straße der Stadt, Blau macht es zur schönsten. Und da ist es. Blau umhüllt mich, es riecht nach dem Parfum, das wir zuletzt gekauft haben. Mit Blau kann man reden, und still sein, es kann auch laut sein – nur muss ich es aus seiner Schale herauslocken. Blau ist mir näher als jede Freundschaft. Jetzt flaniert es durch den Abfall, der auf den Straßen liegt. Es lacht leise, ich wünschte, würde lauter lachen. Es ist so erfüllend, es zu berühren. Wir vergraben uns ineinander.

Blau
Rot war zu wild. Ich wollte mir am Anfang nicht eingestehen, dass ich Rot lieben würde. Ich wollte Gelb nicht enttäuschen, und liebte es immer noch. Gelb war immer gut zu mir, und viel mehr noch, Gelb ließ mich nicht einsinken. Anstatt dessen holte es mich wieder aus meinem Loch, dass ich mir in Gram darüber gebuddelt hatte, dass ich mich nicht von Rot lösen konnte. Was los sei, fragte es. Manchmal hasste ich Gelb – es wurde nie wütend, und das regte mich auf. »Wieso bist du nicht wütend?«, flüsterte ich, und Gelb, das alte Romanzen-Wrack, antwortete mit Säuselstimme; »Weil du es bist, Blau«. Gelb war ein komisches, liebenswürdiges Kitschpaket. Ich hätte es am liebsten an die Decke geworfen, und noch mehr geweint, aber das konnte ich nicht.

Gelb
Blau ist schön, wenn es abwesend ist, die blauen Augen liegen dann in der Ferne, Blaus Mimik zuckt leicht. Blau ist verwurzelt, hebt jedoch bei jedem Windstoß sich an, wie das Meer. Blau ist einfach nur rundum bewundernswert, immer gefasst, immer sachlich, und doch so träumerisch. Wenn ein Mensch so viele schöne Gegensätze, ineinander vereint, dann ist bringt er mich dazu, an Blau zu denken. Ich denke immer an Blau, Blau ist alles.

Blau
Wir haben Rot in der Mitte des Platzes getroffen, es trug einen modischen Schal um seinen schönen Hals. Mein Herz schlug verrückt, ich lief knallblau an. Ich hoffte, sie sehen es nicht.

Rot
Ich werde nie etwas für Blau fühlen, nie. Jenes und Gelb, dieses Weichei, werden mit entgegen schlendern. Ich werde diesen großen Hass auf Gelb nicht los, Gelb würde nur eine Klette sein. Ich werde das alles nur für Blau tun, weil Blau gut aussieht. Blau wird zurückhaltend lächeln, und mir zunicken. Ich will Blau fordernder haben. Gelb wird mich umarmen wollen − belässt es dann aber bei einem Handschlag. Ich will Gelb zurückhaltender.
Ich werde nie ein Arschloch sein, ich werde nie das Argument der schweren Kindheit auspacken, obwohl ich genügend Material hätte, nein. Ich werde das alles nur für Blau tun, weil Blau einer der seltenen ertragbaren Menschen ist.
Ich werde eine warme Hand spüren. »Blau«, werde ich denken, und meine in sie legen.

Gelb
Rot ist nicht so hart, wie es vorgibt zu sein. Rots Hand riecht nach roten Dingen; Preiselbeeren, Rosen, der alte rote Ford deines Opas… Schnell merke ich, was Blau daran findet, das gerade neben mir versucht, schüchtern näher an Rot zu sein, Auf der anderen Seite geht Rot gedankenlos zur Sache. Es hat nicht einmal geschaut, welche Hand es hält, so naiv, aber süß. Es schließt die Augen, und zieht mich zu sich heran.
Es schmerzte, als Rot spontan Gelb küssen sah. Ich wusste auch nicht, wieso es das tat. Also zog ich Gelb heraus, und verwickelte es in mein Spiel. Rot schlug die Augen auf, »kannst gut küssen … oh«. Ich entdeckte einen leichten Rotschimmer auf seinem schönen Gesicht. Doch ich entdeckte die Rache, und zog Gelb näher an mich. Dafür, das ich das gerade machen konnte, dafür liebte ich Gelb. Das Gelb versucht hatte, das Beziehungsmodell etwas für mich zu verändern, und vor allem dafür, dass Gelb Gelb war.
Eifersucht wird sich in mir breitmachen, und ziehe beide an mich ran, denn das ist mein Spiel, nicht ihres …

Schubladen
von Elli

Julie hatte sich in ihrem Zimmer eingeschlossen. Vor ihr auf dem Schreibtisch, neben ihrem Handy, lag ein Büschel Haare, das sie sich eben vorm Spiegel mit der Küchenschere abgeschnitten hatte.
An ihren Wangen trockneten Mascara-Rinnsale, ihre Lippen hatte sie sich wund gebissen.
Eine Weile saß sie nur still da, starrte in das schwarze Display, atmete ein, aus, ein, aus.
Dann nahm sie ihr Handy in die Hand, öffnete einen bisher leeren Chat und begann zu tippen:

„Du bist Schuld.
Du bist Schuld daran, dass ich jetzt alles hinterfrage.
Weil du in Mathe vor mir sitzt und ich stundenlang deine grünen Haare anstarren muss.
Weil du immer so laut lachst und ich dann wissen will, worüber. Weil ich dann denke: ‚Wenn ich jemand anders wäre, würde ich nachfragen und mit dir lachen.‘
Du bist Schuld daran, dass ich mich jetzt ändern will.
Weil du mich angelächelt hast, obwohl du dir bestimmt denken konntest, dass wir auch über dich gelästert haben.
Du hast mich angeschaut, als wüsstest du etwas über mich, was ich nicht wusste, und das hat mir Angst gemacht.
Als hättest du hinter das Make-Up gesehen und erkannt, dass es eine Maske ist.

Vielleicht hast du gemerkt, dass ich mich immer versteife, wenn Daniel mich auf die Wange küsst.
Oder du hast gesehen, wie ich manchmal den kleinen Regenbogenpin an deiner Jacke anstarre.
Vielleicht hast du meinen Blick in deinem Rücken gespürt.
Vielleicht hast du verstanden, dass wir gar nicht so verschieden sind.
Das habe ich jetzt auch.

Du bist Schuld daran, dass ich mich nicht mehr belügen kann, wegen deinem Lächeln und weil du so du bist, und ich das beneidet habe.
Du bist Schuld daran, dass ich jetzt kurze Haare habe und mir eingestehen muss, was ich schon lange wusste.
Ich denke, jetzt wird sich alles ändern.
Du bist Schuld daran, und dafür möchte ich mich bedanken.“

Nachdem sie die Nachricht abgeschickt hatte, wandte sie sich ihrem Spiegel zu und rieb sich die schwarzen Linien aus dem Gesicht. Dann schob sie ihre abgeschnittenen Haare behutsam in den Papierkorb.
Auf dem Tisch leuchtete ihr Handy auf.

Die Schreibwerkstatt wurde gefördert durch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie/Berlin

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