„Vor uns die Sintflut“ – Impressionen aus der Herbstferien-Schreibwerkstatt 2021

Zukunft. Das klingt im Moment ein wenig merkwürdig und nach Science Fiction. Corona und Klimakrise stellen gerade alles Zuküntige in Frage. „Vor uns die Sintflut“ hieß daher die Schreibwerkstatt in den Herbstferien 2021, die eine langjährige Kooperation von Kreatives Schreiben e.V. und wannseeFORUM mit Tradition – und Zukunft ist. Fünf Tage lang setzten sich Jugendliche schreibend mit Zukunft auseinander – tagsüber in Arbeitsgruppen, abends in Kritikrunden und in stundenlangen Gesprächen.

Dabei ging es um den begrifflichen Umgang jenseits des Genres Science Fiction, um das Suchen, Finden und Formulieren neuer Ziele und zukünftiger Aufgaben, um unterschiedliche Textarten und Herangehensweisen, Texte zu planen und zu verfassen. Was unterscheidet in Texten Realität und Fiktion? Wie nehmen wir Klischees wahr und können ihre ständige Reproduktion überwinden? Wie kann man sich durch Texte ausdrücken, um sich gesellschaftlich und künstlerisch äußern zu können?

Um diese und weitere Fragen drehte sich alles in verschiedenen Arbeitsgruppen, geleitet von Michael-André Werner, Alice Veil, Johannes Teschner und Kora Riecken,
in denen sehr unterschiedliche Texte entstanden:

  • Sint- und andere Fluten
  • Das Ende ist nah
  • Kurzgeschichte: Plotentwicklung
  • Erzähl mal!
  • Kurzgeschichten mit gegenteiligen Assoziationen
  • Kühlschrankpoesie
  • Die Rolle des Fragenstellens in der Literatur
  • Texte bestellen 
  • Schreiben nach virtuellem Archivrundgang
  • Apokalyptisches Schreiben
  • Politische Fanfiction
  • Wahre Geschichten
  • Prolog/Dialog
  • stürmisch bis wolkig

Auch diesmal wurden zudem selbstorganisierte Arbeitsgruppen angeboten, in denen das Peer-to-Peer-Lernen im Mittelpunkt stand. Zweimal gab es Arbeitsgruppen, die mit Unterstützung von Dozent*innen einem/r Teilnehmer*in erdachte und geleitet wurde. Ein*e Werkstattleiter*in war anwesend, half und unterstützte.

Am Mittwoch besuchten Teilnehmer:innen als Exkursion eine Lesung der Hausgäste im Literarische Colloquium Berlin (LCB) mit Julia Haenni (Schweiz), Samuel Hamen (Luxemburg) und Tonio Schachinger (Österreich) Im Gespräch mit ihnen lernten sie den Literaturbetrieb noch einmal von einer anderen Seite kennen.

Aufgrund der Corona bedingten Einschränkungen fand die öffentliche Präsentation der entstandenen Texte in einem Livestream mit rund 40 Zuschauern statt. Zur Zeit arbeitet Kreatives Schreiben e.V. an einer Broschüre mit Texten der Teilnehmer:innen und genauen Beschreibungen der Arbeitsgruppen.

Ein Text daraus in der Vorabveröffentlichung

Elena Eberhardt
Die Sintflut

Am Tag der Flut habe ich mir freigenommen. Mit einer weichen Decke und einer Tasse Tee mache ich es mir auf dem breiten Fensterbrett bequem und warte. Es regnet, wie es schon seit Wochen regnet und wie angekündigt schließen sich so gegen zwölf Pfützen zu ersten Pfuhlen zusammen. In ihnen zittern die glänzenden Autos am Straßenrand und vereinzelte Zimmerlampen. Es ist still, nur hin und wieder tappen Regentropfen gegen meine Fensterscheiben. Das Wasser strömt nicht, sondern schmilzt in immer größere Flächen zusammen, bis die Autos in dem stählernen Himmel dümpeln, dazwischen vereinzelt Zigarettenstummel und Bäckertüten. Die einzigen Bewegungen draußen sind nass, Vögel habe ich wohl schon länger keine mehr gesehen und die anderen haben es mir wohl gleichgetan und sind heute zuhause geblieben. Sie werden wohl ebenfalls mit einem Tee am Fenster sitzen, vielleicht eine themenbezogene Playlist anhören. Sie werden besonders tiefgründige und geistreiche Gedanken denken. Sie werden sich der Tragweite des Geschehens bewusstwerden und vor Stolz eine warme Magengrube bekommen. Endlich sind sie Teil des ganz Großen.
Meinen Magen wärmt nur der Tee und auch sonst hält sich mein Köper zurück, während ich vom Nahen dieser silberrauen Fläche in den Bann genommen werde. Schon bläht sie sich von Fassade zu Fassade, ohne sich noch länger um Konturen zu bemühen. Da ist kein Wogen, kein Wiegen, nur eine pastöse Masse, die nicht länger fließen will. Das Wasser schmatzt Substanz aus meinen Fundamenten. Scharf und unerbittlich steigt es Ton und Ton empor, auf, hinauf, stetig wie das Pochen hinter meinen Augen verleibt es sich die Ziegelreihen ein. Ich warte, bis das Wasser den Sommerstaub von meinen Fenstern wischt und ich durch Bullaugen blicke. Die Welt schrumpft zu meinem Gesicht im Fensterglas zusammen, das fahl in seinen Grenzen zittert. Ich sitze in einem Aerium und die Nässe starrt versonnen in meine kleine, fremde Welt hinein und wundert sich. Es ist still geworden, denke ich und warte, bis mein Spiegelbild in der Trübe draußen zerfließt.

Weitere Texte erscheine demnächst.

Das Seminar wurde gefördert durch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie