„Fluchtursachen“ Mai 2016

Seminar aus der Reihe „Flucht und Migration“:

In der Debatte um die sogenannte „Flüchtlingskrise“ fordern immer mehr Stimmen die Beseitigung der Fluchtursachen. Dies ist tatsächlich erforderlich, um den Menschen eine Perspektive an ihren jeweiligen Herkunftsorten zu ermöglichen. Doch die Thematisierung von Fluchtursachen greift oft zu kurz und ist von einer selektiven Wahrnehmung geprägt. So wird der Krieg in Syrien mit bisher ca. 300.000 umgekommenen Syrer*innen meistens als berechtigter Fluchtgrund anerkannt. In Vergessenheit gerät allerdings, dass bewaffnete Konflikte auch in Ländern wie Irak, Afghanistan, Somalia und Sudan zu finden sind. Darüber hinaus stellt Krieg nicht nur eine Bedrohung für das Leben dar, sondern führt auch zu humanitären Missständen, zu Armut und Hunger sowie der Zerstörung von Lebensraum. Andererseits werden Diskriminierung und Verfolgung oder die Folgen des Klimawandels als Fluchtgründe geleugnet.

"Weißt du wie es ist"
Im Seminar „Fluchtursachen“ vom 23. bis 27. Mai 2016 mit Schüler*innen der Louise-Schroeder-Schule galt es daher, die Vielfältigkeit von Fluchtgründen und Herkunftsländern sichtbar zu machen sowie aufzuzeigen, dass Fluchtursachen sich häufig überschneiden, überlagern und verstärken. Auch historische sowie aktuelle globale Abhängigkeits- und Machtverhältnisse und damit verbunden die Frage nach der Mitverantwortung der ehemaligen Kolonialmächten und Industrieländern Europas an den Ursachen der weltweiten Flucht- und Migrationsbewegungen wurden thematisiert.

Mit unterschiedlichen Aspekten des hochaktuellen Seminarthemas befassten sich die 53 Teilnehmer*innen in fünf verschiedenen Workshopgruppen (Audio, Rap, 2 x Theater, Weblog). Die künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten des jeweiligen Mediums nutzten sie, um ihre nach intensiven Recherchearbeiten und regen Diskussionen entwickelten Positionen am letzten Seminartag im Theatersaal des wannseeFORUMs zu präsentieren.

"Refugee Chair"

Die Audio-Werkstatt beschäftigte sich hauptsächlich mit dem Fleischkonsum, den Auswirkungen auf Umwelt und Menschen und wie daraus Ursachen bzw. Gründe zu migrieren/flüchten (Monokulturen, Landraub) entstehen können. Wichtige Impulse bot dabei ein Skype-Interview mit Francisco Marí, Referent für Welternährung, Agrarhandel und Meerespolitik bei „Brot für die Welt“. Er gab den Teilnehmer*innen Informationen über den Tätigkeitsbereich seiner Organisation in verschiedenen Ländern des globalen Südens. Darüber hinaus kritisierte er die seiner Meinung nach widersprüchliche Politik Deutschlands, die einerseits Spendengelder an „Brot für die Welt“ weiterleitet, um Projekte wie bspw. der Aufbau der Selbstversorgung mit Hähnchenfleisch in verschiedenen afrikanischen Ländern zu implementieren bzw. unterstützen, andererseits aber durch den Export von billigen Geflügelresten in genau diesen Staaten die einheimischen Märkte zum Kollaps bringt. Die von den Teilnehmenden produzierten Audio-Beiträge (Umfrage, Quiz, Interview) sind unter folgendem Link zu finden.

"Fluchtursachen"
Ausgehend von der Frage „Warum flüchten Menschen?“ verschaffte sich die Rap-Gruppe einen Überblick über die Vielfältigkeit von Fluchtgründen und -ursachen. Von der Ausbeutung der Menschen aus den Ländern des globalen Südens über die Zerstörung der Lebensgrundlagen afrikanischer Fischer durch die Überfischung der Gewässer vor ihren Küsten durch ausländische Fabrikschiffe bis hin zu korrupten Regierungen: Die Erkenntnisse der Teilnehmer*innen aus der Auseinandersetzung mit diesen Themen flossen anschließend in die selbst geschriebenen Texte des Rap-Songs „Weißt du, wie es ist“ ein.

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Die Theater-Gruppe 1 behandelte im Rahmen des Seminars im wannseeFORUM das Schwerpunktthema „Kolonialismus als historische Ursache für aktuelle Fluchtbewegungen“. Untersucht wurden die wirtschaftlichen und ideologischen Folgen (Rassismus) des Kolonialismus sowie die Folgen der Grenzziehungen in den ehemaligen Kolonien auf aktuelle Konflikte. Hierbei erhielt die Gruppe wichtige Impulse durch einen von „Berlin Postkolonial“ ausgerichteten Stadtrundgang im Afrikanischen Viertel sowie durch ein telefonisches Gespräch mit einem Geflüchteten zu seinen Rassismus-Erfahrungen in Deutschland. Das am Freitag vor Gästen aufgeführte Theaterstück mit dem Titel „Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört (habt)“ inszenierte die Berliner Kongokonferenz 1884/1885 und die Aufteilung Afrikas zwischen den europäischen Kolonialmächten sowie die sich daraus ergebenden verheerenden Folgen für die Menschen aus den afrikanischen Kolonien.

"Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört habt"
Bürgerkrieg, ethnische Verfolgung, Rassismus und weiße Privilegien sowie Ausbeutung sind ein paar der Themen, mit denen sich die Theater-Gruppe 2 befasste. Dabei fokussierten die Teilnehmenden die Länder des ehemaligen Jugoslawiens, aus denen in den letzten Jahren immer wieder Menschen nach Deutschland flüchteten. In einem telefonischen Gespräch mit Vernesa Berbo, eine in Serbien geborene Schauspielerin des GORKI Theaters, diskutierten die Teilnehmer*innen u.a. über den Serbien-Kosovo-Krieg 1989/1990 und seinen Auswirkungen auf die Bevölkerung dieser Länder, aber auch über die Tatsache, dass in der deutschen Filmbranche Schauspieler*innen mit Migrationshintergrund vor allem stereotype Rollen (z.B. Putzfrau, Prostituierte usw.) angeboten werden. Die Teilnehmenden entschieden sich schließlich, in ihrem Theaterstück mit dem Titel „Aus Princip“, die kontroverse Geschichtsfigur Gavrilo Princip auf die Bühne zu bringen.

"Aus Princip"
Was löst Hungerkrisen aus? Inwiefern haben von Machtverhältnissen geprägte wirtschaftliche Zusammenhänge mit den von Hunger betroffenen Menschen in den Ländern des globalen Südens zu tun? Welche Lösungsansätze existieren für die Bekämpfung des Welthungers? Aus welchen Staaten stammen heute politisch Verfolgte? Welche Gruppen wurden während des Nationalsozialismus in Deutschland politisch verfolgt? Wodurch zeichnet sich die religiöse Verfolgung aus und in welchen Ländern sind Menschen besonders häufig davon betroffen? – Diese und weitere Fragen behandelten die Teilnehmenden der Weblog-Gruppe und veröffentlichten ihre Antworten darauf auf dem eigenen Blog. Hier dokumentierten sie darüber hinaus auch die Arbeit und die Ergebnisse der anderen Workshopgruppen.

Weitere Impressionen aus dem Seminar
"Fluchtursachen"

 

Das Seminar wurde gefördert durch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft
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und ist eine Kooperation der Stiftung wannseeFORUM und grenzgänger / forschung & training

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Die Stiftung wannseeFORUM ist anerkannter Träger der Bundeszentrale für politische Bildung.

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Im Themenbereich „Flucht und Migration“ bot die Stiftung wannseeFORUM in Kooperation mit grenzgänger / forschung & training im Jahr 2016 insgesamt drei Seminarformate („Fluchtgeschichte(n)„, „Fluchtursachen“ und „Ankommen und Aufnahme – Fragen an die Einwanderungsgesellschaft„) an, die jeweils einen unterschiedlichen Schwerpunkt in den Mittelpunkt stellten und Berliner Schüler*innen für die Thematik interessieren und sensibilisieren sollten.