„Ankommen und Aufnahme“ Juni 2016

Im Jahr 2015 sind auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung in etwa 80 000 Menschen in Berlin angekommen, rund 50 000 sind geblieben. Es stellt sich somit die Frage, wie die Menschen aufgenommen werden und was ihnen geboten wird, damit sie ihren Platz in der Stadt finden. Zu beobachten sind unterschiedliche Reaktionen und Haltungen in der Einwanderungsgesellschaft: Einerseits existiert eine breite Hilfsbereitschaft, Solidarität und Mitgefühl mit den Menschen, die auf der Flucht vor Not und Verfolgung Schutz in Berlin gesucht haben. Mit großem Engagement und Leidenschaft haben sich viele Berliner*innen der Aufgabe gestellt, die Geflüchteten willkommen zu heißen. Es wurden und werden Sprachkurse organisiert, Spenden gesammelt und spontan Unterkünfte zur Verfügung gestellt. Andererseits bestehen aber auch Ängste, Vorurteile und eine teils aggressive Ablehnung gegenüber den Neuberliner*innen.

Mit dem Seminar „Ankommen und Aufnahme – Fragen an die Einwanderungsgesellschaft“ hat sich die Stiftung wannseeFORUM zusammen mit ihren Kooperationspartnern der VHS City West und grenzgänger I forschung und training zum Ziel gesetzt, die Aufnahmegesellschaft für die Thematik zu sensibilisieren und Vorurteilen entgegenzuwirken. Das Seminar war eines von sechs bundesweit über den Deutschen Volkshochschul-Verband (DVV) ausgeschriebenen Seminaren im Sonderprojekt „Migration und Asyl in Europa“ und wurde gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)  und durch die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft.

Im Seminar haben sich 40 Schüler*innen der Louise-Schroeder Schule vom 13. bis 17. Juni im wannseeFORUM mit unterschiedlichen Facetten der Einwanderungsthematik auseinandergesetzt. im Verlauf der Woche arbeiteten die Jugendlichen in fünf künstlerischen und medialen Kleingruppen, die jeweils verschiedene Schwerpunkte behandelten und ihre Ergebnisse in einer gemeinsamen Präsentation im Festsaal des Rathaus Charlottenburg zeigten.

"Ankommen und Aufnahme"

So machte sich die Fotografie-Gruppe Gedanken zum Begriff Integration und verglich eigene Vorstellungen mit verschiedenen Integrationskonzepten, um gängige Sichtweisen kritisch zu hinterfragen. Auf dem Programm stand auch eine Exkursion zur Notunterkunft im ehemaligen Flughafengebäude Tempelhof. Dort hatten sie die Gelegenheit, einen Arzt zur Situation der Geflüchteten zu befragen und erfuhren, wie den Menschen dort geholfen wird. Ihre Eindrücke und Diskussionsergebnisse verarbeiteten sie in Bildern, zu denen sie jeweils ein Motto auswählten und am Ende dem Publikum präsentierten:

Bilder aus dem Workshop "Fotografie" im Seminar "Ankommen und Aufnahme"

In der der Audio-Gruppe wurde viel darüber diskutiert, welche Befürchtungen in der Gesellschaft in Bezug auf Einwanderung bestehen und woher diese Ängste kommen. Auch die Rolle der Medien wurde dabei kritisch beleuchtet. Bei einem Interview in der Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migrant_innen e.V. (KuB) informierte sich die Gruppe über die rechtliche Situation von geflüchteten Menschen in Deutschland. Beim Besuch in der Notunterkunft Wichertstraße kamen sie mit den Bewohner*innen und einer Sozialpädagogin ins Gespräch. Das eindeutige Fazit der Gruppe: Fakten können helfen, Vorurteile zu widerlegen. Allerdings trägt vor allem die Begegnung dazubei, Berührungsängste abzubauen und Verständnis füreinander zu schaffen.

Audio-Gruppe im Seminar "Ankommen und Aufnahme" Juni 2016

Auch die Theater-Gruppe hat sich mit Vorurteilen gegenüber Geflüchteten auseinandergesetzt und dies mit einer Debatte über Rassismus und Zivilcourage verbunden. Ausgehend von der eigenen Biographie wurde zunächst die Vielfalt in der eigenen Gruppe durch das Identitätsmolekül sichtbar gemacht und daran anschließend kritisch hinterfragt, warum häufig von „den Flüchtlingen“ als homogene Gruppe die Rede ist, denen dann bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden. Interessiert wurden die Fragen diskutiert, wann eine Aussage rassistisch ist und wie man sich dagegen positionieren kann. Dazu wurden drei Plakete gestaltet:
Poster der Theater-Gruppe im Seminar "Ankommen und Aufnahme" Juni 2016Als Gast wurde ein Aktivist (u.a. bei Willkommen in Oranienburg & corasol) mit eigener Fluchterfahrung eingeladen, der den Schüler*innen Einblicke in die Lebenssituation und die Bedeutung von Rassismus im Alltag von Geflüchteten vermitteln konnte. Auch in einem Telefongespräch mit einem Mitarbeiter der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) wurden Fragen zur aktuellen Bedrohungslage und zu Möglichkeiten zivilcouragiertem Handelns besprochen.
Bei der Abschlusspräsentation brachte die Theater-Gruppe zwei Szenen auf die Bühne: Eine Expert*innenrunde in der rechtspopulistische Thesen eines Diskussionsteilnehmers widerlegt wurden. Und eine Diskriminierungsszene an einem Marktstand, bei der in einem zweiten Durchlauf, eine Interventionsmöglichkeit durch die umstehenden Passant*innen aufgezeigt wurde.

Die Gruppe Zeichnung hat sich mit Unterbringung und Versorgung von geflüchteten Menschen in Berlin beschäftigt. Z. B. wurde der eigene Seminarraum vermessen und mit dem Platzangebot in einer Notunterkunft verglichen. Auch das den Geflüchteten zur Verfügung stehende Geld wurde mit eigenen Ansprüchen der Teilnehmenden in Beziehung gesetzt. Eine Exkursion führte die Gruppe ebenfalls in die Notunterkunft Wichertstraße, wo sie sich bei einem Rundgang durch die ehemalige Turnhalle ein Bild von der Wohnsituation machen konnten. Die Schüler*innen zeigten sich betroffen und äußerten Kritik an den beengten Unterbringungsverhältnissen, gleichzeitig überraschte sie die Offenheit und Herzlichkeit der Bewohner*innen und das hohe Engagement der Mitarbeiter*innen. Die Geschichten der Geflüchteten, die lähmende, ungewisse Zukunft, die mangelhafte Versorgung und die fehlende Privatsphäre inspirierten sie zu ihren Zeichnungen, die sie bei der Präsentation dem Publikum vorstellten.

Bilder aus dem Workshop Zeichnen im Seminar "Ankommen und Aufnahme"

Die Rap-Gruppe hat sich mit verschiedenen Protestformen und Protestorten von und für geflüchtete Menschen auseinandergesetzt. Im Mittelpunkt standen Raptexte und -videos, die dahingehend analysiert wurden, welche Botschaften darin vermittelt werden und wie diese im Video dargestellt sind. Dies bot Anlass zu vielfältigen Diskussionen über den Hintergrund der darin aufgestellten Forderungen. In den Zeilen, die die Teilnehmenden im Seminarverlauf selbst entwickelt und in einem gemeinsamen Song performt haben, geht es um die Ankunft eines Geflüchteten, seine Realität hier im Land und um die Reaktionen in der aufnehmenden Gesellschaft. Dazu hat die Gruppe auch noch ein eigenes Musikvideo produziert:

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Die Ergebnispräsentation, zu der neben den Schüler*innen und Lehrer*innen der Louise-Schroeder-Schule auch die Bezirksstadträtin für Weiterbildung und Kultur, Dagmar König, sowie weitere Gäste eingeladen waren, fand am 17.06.16 im Festsaal des Rathaus Charlottenburg statt. Zugleich bildet die Präsentation den Abschluss der dreiteiligen Seminarreihe „Flucht und Migration“ mit dem gesamten 11. Jahrgang der Louise-Schroeder-Schule und es wurden auch Ergebnisse aus den beiden vorangegangenen Seminaren „Fluchtgeschichte(n)“ und „Fluchtursachen“ vorgestellt. Rund 200 Zuschauer im Saal waren beeindruckt von dem, was die Schüler*innen auf die Bühne brachten und für die Bezirksstadträtin stand fest, dass, wenn es solche Veranstaltungen öfters gäbe, man sich um die Integration in Deutschland keine Sorgen mehr machen müsse. Wir hoffen ebenfalls, mit dem Seminar einen nachwirkenden Impuls zur Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft gelegt zu haben und bedanken uns bei alle Beteiligten.

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